Shopper Research - Insights zum natürlichen Kaufverhalten

planung & analyse, 15.04.2011

von Dr. Benedikt Bartmann, Consultant bei der Forschungsgruppe g/d/p in: planung & analyse, Heft 2/2011    

Kurzfassung: Kaufentscheidungen verlagern sich zunehmend an den POS. Genau dort untersucht Shopper Research den Such-, Entscheidungs- und Kaufprozess der Shopper und deckt Optimierungspotenziale auf. Die Untersuchung des Shopperverhaltens in einer gesamten Einkaufsstätte ist dabei ebenso wichtig wie die Analyse des Verhaltens an den einzelnen Regalen. Je nach Fragestellung eignen sich unterschiedliche Methoden, um wichtige Insights zur optimalen Verkaufsraumgestaltung und zum effizienten Einsatz von POS-Tools zu generieren.

Immer wieder wird betont, dass die meisten Kaufentscheidungen erst am Point-of-Sale getroffen werden. Die Zahlen schwanken je nach Warengruppe und Erhebungsmethode zwischen 40 und 70 Prozent. Diese vergleichsweise hohen Zahlen bedeuten jedoch nicht, dass die Shopper ihre Einkäufe fast planlos durchführen. Die hohen Werte erklären sich teilweise dadurch, dass viele Shopper Geschäfte nur mit kategorienspezifischen Produktwünschen aufsuchen. Das heißt ein Kunde möchte beispielsweise ein Waschmittel kaufen, weiß aber noch nicht welche Marke, welche Verpackung, welche Menge und zu welchem Preis.

Der POS als Herausforderung
Diese Situation erklärt und unterstreicht die Bedeutung des Point-of-Sale als strategisches Aufgabenfeld für Hersteller und Händler: Denn oft entscheidet der Shopper erst am Regal, ob er Marke A oder doch lieber Marke B kaufen möchte. Durch POS-Marketing versuchen die Beteiligten, den Absatzerfolg zu steigern und zu sichern. Die entscheidende Frage dabei ist, ob und in welchem Maße die potentiellen POS-Tools die Aufmerksamkeit der Shopper auf ein bestimmtes Produkt lenken.
So eignen sich beispielsweise Regalstopper, um auf neue oder gerade im Angebot befindliche Produkte hinzuweisen und sie optisch hervorzuheben. Auch der Hinweis auf ein Testurteil (etwa Stiftung Warentest oder Oekotest) kann den entscheidenden Ausschlag für ein Produkt geben. Wobei die verschiedenen POS-Tools je nach Warengruppe durchaus unterschiedlich wirken können: Ein Sonderangebot erzielt beispielsweise bei Süßware einen höheren Uplift als der Hinweis auf ein Testurteil. Bei Gesundheitsprodukten dagegen haben Hinweise auf die Qualität der Produkte eine höhere Bedeutung für die Shopper.
Die POS-Tools lassen sich dabei unterscheiden in Maßnahmen, die sich wie die bereits beschriebenen Regalstopper eher auf Einzelprodukte beziehen (und daher meist von Herstellerseite initiiert werden), und in Maßnahmen, die sich auf gesamte Warengruppen bzw. sogar den Gesamtmarkt beziehen. So wird beispielsweise Hintergrundmusik oder die Beduftung ganzer Abteilungen mit bestimmten Zielen eingesetzt. In empirischen Studien wurde gezeigt, dass langsame Musik die Einkaufsgeschwindigkeit verringert und die Verweildauer erhöht. Auch Veränderungen des Absatzes können durch Musik erzielt werden: In einem Experiment wurde abwechselnd deutsche und französische Musik abgespielt. Bei deutscher Musik stieg der Absatz deutscher Weine und umgekehrt.

Shopper-Verhalten verstehen
Um die Effekte einzelner POS-Maßnahmen richtig bewerten zu können, stellt sich die Frage: Wie lässt sich das Kaufverhalten der Shopper möglichst präzise und umfassend untersuchen? Ziel sollte es dabei sein, das Verhalten nicht nur möglichst genau und im besten Fall mit großer Stichprobe zu erfassen, sondern das Geschehen auch in einer natürlichen Situation zu erheben. Ähnlich wie bei den POS-Tools beziehen sich die Methoden dabei einerseits mehr auf den Gesamtmarkt und andererseits mehr auf einen einzelnen Regalabschnitt bzw. Einzelprodukte.

Die entscheidenden Informationen für jede POS-Maßnahme sind dabei folgende:

  • Frequenz: Wie viele Shopper haben die Maßnahme frequentiert, sind also daran vorbeigekommen?
  • Aufmerksamkeit: Wie viele Shopper haben die Maßnahme auch beachtet
  • Information: Wie viele Shopper informieren sich aktiv mit der Maßnahme bzw. den dazugehörigen Produkten
  • Zugriff: Wie viele Shopper greifen auch zu und nehmen ein Produkt mit?
  • Kauf: Bei wie vielen Shoppern steht das Produkt auf dem Kassenbon und wie oft wird das Produkt insgesamt verkauft?

Die Gesamtsicht auf Marktebene
Zur Untersuchung des Shopperverhaltens auf Marktebene wird häufig eine Kundenlaufstudie eingesetzt. Damit lassen sich Ergebnisse nicht nur bezogen auf ein einzelnes Regal, sondern auf das Verhalten im gesamten Markt ermitteln. Neben der Aufenthaltsdauer bei den verschiedenen Warengruppen ist dabei die Reihenfolge der besuchten Warengruppen eine wichtige Information, um beispielsweise die Anordnung der Warengruppen im Gesamtmarkt zu optimieren. So sollte Tiefkühlkost aus Shoppersicht immer in der Nähe des Ausganges stehen, um die Gefahr des Antauens möglichst gering zu halten. Denn sobald Tiefkühlprodukte gekauft sind, will der Shopper sie möglichst zügig nach Hause bringen - dadurch erhöht er seine Einkaufsgeschwindigkeit und bewegt sich schneller zur Kasse. Im Idealfall wird die Beobachtung des Shoppers kombiniert mit einer Befragung, um Informationen hinsichtlich der Einkaufsmotive, der Einkaufshäufigkeit im Markt oder etwa des Planungsgrads einzelner Produkte zu ermitteln.
Betont werden soll an dieser Stelle, dass Kundenlaufstudien flexibel eingesetzt werden und in verschiedenen Vertriebsschienen zur Beantwortung von wichtigen Fragen eingesetzt werden können: Neben den klassischen Einsatzgebieten, wie Supermärkten, SB-Warenhäusern und Drogeriemärkten, lohnt es sich auch an Tankstellen, in Apotheken oder Kaufhäusern, den Kundenlauf und seine Auswirkungen auf das Einkaufsverhalten zu untersuchen.

Die Detailsicht am Regal
Zur Untersuchung des Shopperverhaltens unmittelbar am Regal kommen mehrere Methoden mit Verschiedenen Vor- und Nachteilen in Frage.
Eye-Tracking zeichnet sich dabei durch hohen Detaillierungsgrad und eine Fülle an Auswertungsmöglichkeiten aus. Dem gegenüber stehen relativ hohe Kosten und niedrige Stichprobengrößen. Hier zeichnen sich jedoch neue technische Möglichkeiten (zum Beispiel die Shopperbrille der gdp) ab, die spezifische Erfordernisse der POS-Forschung, nämlich Kosteneffizienz und höhere Stichproben, ermöglichen. Die Auswertung von Überwachungs-videos bietet nur theoretisch die Möglichkeit, grundsätzliche Verhaltensweisen in verschiedenen Warengruppen aufzuzeigen, denn praktische Gründe schließen eine Auswertung zu Marktforschungszwecken aus. Aus Datenschutzgründen ist eine Auswertung nur zum Zwecke der Diebstahl-Aufklärung erlaubt.

Gegen eine manuelle Erfassung durch einen Beobachter sprechen verhältnismäßig hohe Kosten und die selektive, und bei schwierig zu beobachtenden Situationen ungenaue, Wahrnehmung des Beobachters. Allerdings bietet ein Beobachter die Chance, nicht nur das Verhalten am Regal aufzunehmen, sondern zusätzlich im Anschluss an die Beobachtung eine Befragung durchzuführen. Somit können leichter Rückschlüsse über das soeben gezeigte Verhalten gezogen werden.

Beim begleiteten Einkauf wird der Shopper gebeten, seine Gedanken zum Regal und zu den Produkten laut zu äußern, was zwar wichtige Erkenntnisse liefert, aber relativ weit von einer natürlichen Kaufsituation entfernt ist. Somit eignet sich diese Methode vor allem bei qualitativen Vorstudien oder als Ergänzung zu einer quantitativ orientierten Fragestellung. Die oben genannten Methoden konzentrieren sich auf das Geschehen am Regal, das heißt analysieren das Verhalten innerhalb einer Warengruppe. Ähnlich wie bei der Kundenlaufstudie, bietet es sich an, die Beobachtung des Verhaltens am Regal mit einer Befragung zu kombinieren. So lassen sich auch nur kurz zurückliegende und bereits beobachtete Verhaltensmuster hinterfragen.

Realitätsnähere Beobachtung
Alle hier vorgestellten Methoden weisen jedoch spezifische Nachteile auf, die den Einsatz nur bedingt rechtfertigen. Daher setzt die Forschungsgruppe g/d/p seit 2005 die sogenannte Shopper Research Box ein, um einige Nachteile der vorgestellten Methoden zu berücksichtigen bzw. aufzuheben. Sie wird vor allem bei Grundlagenstudien für einzelne Warengruppen eingesetzt, eignet sich jedoch auch zur Analyse von separaten Displays oder auch Kassenplatzierungen.
Die kleine Box, kaum größer als eine Zigarettenschachtel, wird unauffällig gegenüber des zu beobachtenden Regals oder an der Decke installiert und ermöglicht so eine Aufzeichnung des natürlichen, unbeeinflussten Shopperverhaltens. Die Shopper Research Box nimmt dabei das Shopperverhalten vor dem Regal und die Zugriffe der Shopper am Regal auf. Die Shopper werden dabei nur als Silhouette registriert, um personenbezogene Rückschlüsse zu verhindern. Dadurch können Frequenz, Laufrichtung, Verweildauer, Suchzeiten sowie Zugriffsraten am Regal produktgenau ermittelt und anhand von farbig abgestuften Regalkarten sichtbar gemacht werden.

Durch die automatische Datenerhebung und Datenauswertung werden alle Shopper vor dem Regal beobachtet, was für die Validität der Aussagen über das Informations- und Zugriffsverhalten am beobachteten Regal spricht.
Mit den Erkenntnissen lassen sich Such- und Orientierungsprozesse am Regal analysieren und Regalwertigkeiten optimal ausnutzen. Dadurch können Rückschlüsse über die Anordnung der einzelnen Subkategorien im Regal gezogen werden. Zusätzlich lassen sich Informationen über das Entscheidungsverhalten der Shopper gewinnen: Welche Produkte werden beispielsweise häufig gemeinsam gekauft, welche zuerst und welche zuletzt? Greifen Shopper immer innerhalb einer Marke zu oder werden verschiedene Marken miteinander verglichen? Auch der Einsatz der zu Anfang beschriebenen POS-Tools lässt sich untersuchen: Mit Hilfe eines Vorher-NachherVergleichs kann der Einfluss eines Regalstoppers oder auch einer Preisreduktion untersucht werden.
Wie bei allen anderen bereits angesprochenen Methoden kann die Shopper Research Box mit der Analyse der Abverkaufszahlen kombiniert werden. Dadurch kann beispielsweise ermittelt werden, ob bestimmte Produkte zwar häufig gegriffen, aber eher selten gekauft werden. Dabei können auch innerhalb einer einzelnen Warengruppe sehr unterschiedliche Ergebnisse ermittelt werden: Bei Süßware unterscheidet sich dieses Zugriff-zu-Kauf-Verhältnis etwa deutlich zwischen Tafelschokolade und Pralinen. Während bei Tafelschokolade fast jeder Zugriff mit einem Kauf gleichzusetzen ist, liegt das Verhältnis bei Pralinen deutlich höher. Die logische Erklärung ist, dass die Shopper bei Pralinen sehr viel häufiger verschiedene Produkte miteinander vergleichen (etwa mit und ohne Nuss, mit und ohne Alkohol etc.) als bei Tafelschokolade.

Fazit
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Analyse des Shopperverhaltens und der Einfluss verschiedener POS-Tools mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Neben den bereits bekannten und vielfach eingesetzten Maßnahmen werden ständig neue Tools forciert, deren Wirkung auf den Shopper je nach Warengruppe und Situation durchaus unterschiedlich sein kann. Nachdem vor einigen Jahren beispielsweise Instore-TV und Videopräsenter ohne große Erfahrungen eingesetzt wurden, ist mittlerweile klar, dass es hier zu differenzieren gilt. Nicht in jeder Warengruppe möchte der Shopper mit bewegten Bildern und verbalen Hinweisen konfrontiert werden. Wobei generell zu unterscheiden ist, ob mit dem Einsatz der Flachbildschirme konkrete Absatzförderung betrieben werden soll oder es eher um Imageförderung, Informationsservice und Verbesserung der Ladenatmosphäre geht. Auch die Standorte der Bildschirme spielen eine große Rolle, gerade in Wartebereichen wie an Rolltreppen oder Bedientheken erfahren Info-Screens erhöhte Aufmerksamkeit. Spannend und noch ziemlich offen ist die Frage, wie sich die neuen Möglichkeiten durch Smartphones auswirken und ob der Regalstopper etwa vom digitalen Couponing abgelöst wird.

Der Autor:
Dr. Benedikt Bartmann, Diplom-Geograph, ist seit April 2009 als Consultant bei der Forschungsgruppe g/d/p im Bereich Shopper Research tätig. Vorher arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationales Marketing, Konsum- und Handelsforschung an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) sowie am Institut für Konsum- und Verhaltensforschung an der Universität des Saarlandes. bartmann@gdp-group.com

Literatur:
Ahlert; Olbrich; Schröder (Hrsg.): Shopper Research, Kundenverhalten im Handel - Jahrbuch zum Vertriebs- und Handelsmanagement 2007. Frankfurt am Main: Deutscher Fachverlag.
Bartmann (2010): Methoden zur Messung von Mental Maps und des Orientierungsverhaltens von Konsumenten am Point-of-Sale. München. Dr.Hut Verlag.
Braaß, Christa (2008): Total Store Research. Mit Kundenlaufstudien POS-Konzepte optimieren. In: planung & analyse, Jg. 35, Nr. 2.
Garlin; Owen (2006): Setting the tone with the tune: A meta-analytic review of the effects of background music in retail settings. In: Journal of Business Research, Vol. 59, Nr. 6, S. 755-764.
Silberer (2010): Digital Signage im stationären Handel - Das Anwendungs- und Wirkungspotenzial eines neuen POS-Mediums. In. der markt - Journal für Marketing. Vol. 49, Nr. 1, S. 3-16.

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